Leben im PS-Studio
Ein schönes Geburtstagsgeschenk: Vier Wochen und einen Tag vor Vollendung seines achtzigsten Lebensjahres überquert der letzte von Theo Decker getunte Käfer die Ziellinie der Classic Cars Challenge China. Volkswagen Classic stellte den historischen Wagen zur Verfügung, der zum Fuhrpark der Werkssammlung zählt. Hinterm Steuer des einwöchigen Rallye-Dauerläufers saß kein geringerer als Rennfahrer-Legende Jacky Ickx. Er gab dem weißen Krabbler mit Spitznamen Theo die Sporen während der letzten Etappen des 1600 Kilometer langen Fernost-Klassikers. Der Startschuss fiel am 12. Oktober in Peking, das Ziel hieß am 18. Oktober Schanghai. Und wie schon vor 50 Jahren Theo Deckers schneller machende Produkte viele Käfer-Fahrer auf dem ganzen Globus begeisterten, löste auch der 1302 Baujahr 1972 im Land des Lächelns sein Versprechen ein. Der auf 135 PS getunte Veteran meisterte den Dauerlauf problemlos. So etwas kommt nicht von ungefähr.
Der in Theorie und Praxis sattelfeste Techniker Theo Decker erkannte neben dem Ingenieur Gerhard Oettinger aus Friedrichsdorf früh den Bedarf an leistungssteigernden Komponenten. Es gab damals immer Volkswagen-Käufer, die mehr wollten – mehr Komfort und natürlich mehr Leistung, um mit anderen Kleinwagen, die schneller als der Käfer fuhren, mithalten zu können. Oettingers PS-Zutaten begegneten Decker 1957 auf einer Autobahnetappe im Fiat, als ihn ein Käfer überholt hatte. Er war nicht gerade langsam unterwegs, musste den Volkswagen jedoch ziehen lassen. An einer Raststätte erhielt er vom Besitzer freundlicherweise Einblick in das Wunderwerk zweier Gemischfabriken – ein Schlüsselerlebnis.
Das kann ich auch, dachte sich Decker und gründete mit seiner Frau Isolde 1958 die erste Tuning-Werkstatt im Essener Stadtteil Borbeck. Unter dem einprägsamen Firmenkürzel TDE, was für Theo Decker Essen steht, nahm der gelernte Fahrzeugschlosser neben gewöhnlichen Autoreparaturen die Produktion von Tuning-Teilen auf. Erst allein, bald durch einen „Stift“ verstärkt, feilte man im Duett anfangs Nockenwellen. Es dauerte nicht lange und die Werkstatt wandelte sich 1960 in eine Gießerei um. Als Rohstoffquelledienten alte 24,5 PS-Gehäuse, die sich Decker von VW-Werkstätten aus der Region besorgt hatte. Geschmolzen und neu gegossenentstanden die begehrten Saugrohre für Zweivergaseranlagen der Marke TDE. Im Gegensatz zu den aus Stahl gefertigten Oettinger-Teilen versprach man sich von dieser Lösung schneller und günstiger höhere Stückzahlen.
Zu Theo Decker kamen viele, die eine Motorüberholung mit einer Leistungssteigerung verbinden wollten. Für die gab es bald einen Motor namens VAS 34/1300 mit einem von 1192 auf 1285 Kubikzentimeter vergrößerten Hubraum. Die Leistung stieg von 34 auf 40 PS. Bei Erscheinen des Motors zeigte sich, wie schnell Theo Deckers perfekt improvisierte Pressearbeit funktionierte. Inzwischen war das PS-Studio in Essen schneller als die Kollegen in Wolfsburg. Sein VW Käfer 1300 TDE mit dem oben erwähnten Motor erreichte unsere GUTE FAHRT Redaktion um Tage früher als das Testauto von Volkswagen und war einen Monat früher im Heft (Ausgabe 7/65) als der erste Test des Serienmodells.
Eine neue Herausforderung
Im selben Jahr wurde Volkswagen mit der Formel V sportlich. Zusammen mit Huschke von Hanstein holte Decker die Rennserie nach Deutschland. Sie schlug ein wie eine Bombe, da sie günstigen Formelsport ermöglichte. Mit einem dreiköpfigen Mechanikerteam war TDE Tuning zuerst einziger technischer Betreuer im Fahrerlager. Das Engagement hielt bis 1970 an. Daher rühren auch die herzlichen Geburtstagszeilen etwa von Rennfahrer Hans-Joachim Stuck, die Theo Decker am 19. November erreichten. Rennfahrerlegende „Strietzel“ startete seine glorreiche Karriere eben in dieser Rennserie mit stark modifizierter Käfertechnik.
Nach dem Ende ihrer Formel-Ära, zog es die Deckers nach Kalifornien. Im Eldorado des Käfertunings jener Tage knüpften sie schnell enge Kontakte zur dortigen Szene, insbesondere zu EMPI, der damals bedeutendsten Käfer-Schmiede, die auch groß im Versandgeschäft mitmischte. TDE made in Germany stand hoch im Kurs und die Deckers nutzten ihr gutes Gespür für Märkte. TDE entwickelte folglich praktische Komplettsets zum Selbsteinbau, was viele Käferfahrer im In- und Ausland sehr zu schätzen wussten. Testberichte in vielen Ländern Europas und Übersee taten ihr Übriges. Die Magie der Buchstaben TDE ermutigte Ehefrau Isolde Decker dazu, vor der Zeit der Wunschkennzeichen, jeden Testwagen mit der Buchstabenfolge E–TD zuzulassen. Mit einer Flasche Cognac unterm Arm erreichte sie ihr Ziel auf der Zulassungsstelle immer im Handumdrehen.
Das erfolgreichste Jahr war 1973. Von Produktionsbeginn an war ein 11 PS-Paket in Form einer Zweivergaseranlage und mit TDE-Endrohren im Programm, das an die Käfer-Modelle 1302/03 S passte. Bis zu 500 Sets wurden monatlich verkauft. Der Mitarbeiterstab war auf den Höchststand von 32 Personen angewachsen.
Die Ölkrise verschonte auch TDE nicht. Die Käfer-Stückzahlen schrumpfen, der Golf erhielt 1976 mit dem GTI einen werksseitig schon potentes Modell, das den eigens gebauten TDE-Golf in Preis und Leistung ausstach. Daher wendeten sich die Deckers 1980 anderen Aufgaben zu. Erst zehn Jahre später, mit dem Aufleben einer neuen Käfer-Euphorie, ermunterte der Journalist Helmut Horn sein Vorbild Theo Decker dazu, Fachbücher über seine frühere Arbeit an den Käfern und über VW-Tuning im allgemeinen zu veröffentlichen.
Zur Rückkehr des Urgesteins zu seinen Wurzeln gehörte auch ein neuer Käfer-Umbau, dessen Entstehen dokumentarisch begleitet in die aktuellen Publikationen geflossen ist. Es handelt sich dabei um jenen weißen 1302, den die Deckers 2008 an Volkswagen weitergereicht haben und den vor wenigen Wochen Jacky Ickx durch China pilotierte.
Zu späten Ehren gelangte der Essener Käfer-Tuner in den letzten Jahren immer häufiger. Eine Magazinreihe namens „Theo Deckers VW Werkstatt“ entstand im Delius Klasing Verlag von 2000 bis 2006. Im selben Jahr baute ein Decker-Fan einen orangefarbenen 1302 TDE-Testwagen aus dem Jahr 1971 bis ins Detail nach – unter beratender Mithilfe des Ersterbauers. Und seit 2009 wird ein sogenannter „Theo Award“ alljährlich an die beliebtesten Tuning-Firmen verliehen. Und das ist nun wirklich Oscar-reif.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Theo Decker!
Text: Martin Santoro | Fotos: TDE / Gute Fahrt-Archiv